Artenvielfalt vs. Ökologische Stabilität

Während manche entsetzt konstatieren, dass seit den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Artenvielfalt zurückgeht, gibt es zunehmend Protagonisten im Naturschutz, die davon abraten die Artenvielfalt zum dominierenden Ziel der Naturschutzpolitik zu machen und präferieren stattdessen eher die Stabilität unberührter Ökosysteme – ein Zielkonflikt, der gerade bei der Diskussion um die Rückkehr des Wolfes im Schwarzwald an Schärfe gewinnen dürfte.

Um das zu erläutern vielleicht einige Worte zur Geschichte unserer artenreichen Kulturlandschaft in Keltern und Süddeutschland:

Von großer Bedeutung ist sicherlich – gerade in Keltern – dass über viele Generationen Realteilung praktiziert wurde, als das Erbe immer durch die Anzahl der Nachkommen geteilt wurde. Es entstanden so kleine und kleinste Bewirtschaftungseinheiten, die schon im 19. Jahrhundert das Entstehen lebensfähiger landwirtschaftlicher Haupterwerbsbetriebe verhinderten. Die Menschen waren also einerseits darauf angewiesen, die ererbten Flächen möglichst optimal zu nutzen und andererseits zusätzliche Einkommensquellen aufzutun – in Falle von Weiler beispielsweise in Steinbrüchen, im Falle von Dietlingen oder Ellmendingen in der Pforzheimer Industrie. So bedeutetet optimale Nutzung oft, dass nicht Maximalertrag angestrebt wurde, sondern dass sich die Bewirtschaftung der eigenen Flächen mit den Erfordernissen des Zusatzeinkommens kombinieren lassen mussten. Nebenbei bemerkt, dass die Bewirtschaftung der Flächen bedingt durch Kriege und Arbeitszeiten des Mannes häufig Sache der Frauen oder Kinder war und dass dies auch zu dem gesellschaftlichen Konsens geführt hatte, dass Alles, was die Erträge von den Flächen gefährden konnte, wie Maikäfer, Mäuse oder Vögel, um nur einige zu nennen, ein kollektives Feindbild war.

Ergebnis dieser sehr kleinteiligen Landbewirtschaftung war ein höchst differenziertes landschaftliches Mosaik aus kleinen und kleinsten unterschiedlich bewirtschafteter Flächen. Diese Struktur, die schon seit den Kriegen des 20. Jahrhundert Risse zeigte, brach in den Zeiten des Wirtschaftswunders nach 1945 vollends auseinander. Immer mehr Menschen stellten für sich selbst die Bewirtschaftung der ererbten Flächen in Frage, gaben diese auf oder suchten nach Möglichkeiten zur Extensivierung der Bewirtschaftung. Versuche, die Rentabilität der Flächenbewirtschaftung durch Flurbereinigungen zu erhöhen, waren in Keltern nur in den Weinbergen – dort, wo heute noch Weinbau betrieben wird – in der ersten Hälfte der 50er Jahre erfolgreich. Der letzte Versuch einer Feldbereinigung endete nach Angaben unseres Altbürgermeisters und Ehrenbürgers Wolfgang Gehring, damit, dass eine alte Dame im Rahmen einer zu diesem Zweck einberufenen Versammlung ihrem Widerwillen gegen eine solche Flurbereinigung mit den Worten „man muss unter jeder Wolke einen Acker haben“ Ausdruck verlieh.

Von Mitte der 50er bis Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts kam es so zu einem Klimax-Stadium vieler Öko-Systeme, sowohl was den Artenreichtum, als auch was die Anzahl an Individuen bei vielen Arten angeht. Viele Menschen, die nur noch in der Minderheit aus den Reihen der ehemaligen Landbewirtschafter kamen, entdeckten nun Blüten-reiche Wiesen voller Schmetterlinge für sich und stellten nach 10–20 Jahren fest, dass diese bunte Vielfalt zu verschwinden begann. Man suchte nun nach Wegen möglichst viel des Artenreichtum zu erhalten und man begann damit Pflegekonzepte zu erarbeiten, mit der die frühere kleinteilige Bewirtschaftung in ihrer Struktur simuliert werden soll. Allerdings stellt die Erstellung entsprechend differenzierter Pflegekonzepte – manche nennen es „man muss sich kümmern“ – die damit befassten öffentlichen Stellen vor gewaltige Aufgaben, denen sie derzeit nur mit allergrößter Mühe gewachsen sind. Auch nimmt die Anzahl derer, die mit der entsprechend fachlich fundierten Pflege unserer kleinteiligen Kulturlandschaft beauftragt werden könnte, immer weiter ab. Beispielsweise sind viele Flächen in der Region Nordschwarzwald nur durch Beweidung mit Schafen zu erhalten, die Anzahl der Schafhalter, die entsprechend ausgestaltete Pflegeverträge erfüllen könnten, nimmt aber seit Jahren ab.

Hinzu kommt dass die Rückkehr des Wolfes allen Entschädigungs-Zusagen zum Trotz, dazu führen wird, dass die Schafhaltung aufwändiger werden wird und für so manchen Hobby-Schafhalter zu der Entscheidung führen dürfte, die Schafhaltung aufzugeben.

So wird sich eine Entwicklung beschleunigen, die in Süddeutschland seit Jahren im Gange ist: Die Zunahme des Waldes und eine wachsende Anzahl von Menschen, die sich dem Naturschutz verschrieben haben, stellen die Frage, ob es denn nicht wesentlich ökologischer wäre, die Natur Natur sein zu lassen und Flächen, die aus der Bewirtschaftung fallen der potentiellen natürlichen Vegetation anheim fallen zu lassen, was auf lange Sicht in unserer Region zu einer Bewaldung mit Buchen führen würde – zwar mitnichten so artenreich wie eine vielfältig bewirtschaftete Kulturlandschaft, aber ökologisch deutlich stabiler und natürlich auch deutlich billiger im Unterhalt.

Man verzeihe mir, dass ich es mir nicht erlaube, auf diese Frage eine Antwort zu formulieren, aber es ist für die kommenden Jahre eine der zentralen Fragen der Naturschutzpolitik.